Auf den Spuren eines Heiligen
Wie ein Bollwerk thront der mächtige Bau im grünen Tal. 65 Meter hoch reckt sich die Kuppel der barocken Basilika des Klosters San Ignatio de Loyola in den Himmel des Baskenlandes. Im Inneren steht zwischen gedrechselten Säulen die silberne Statue des Heiligen Ignatius, der nur ein paar Schritte weiter anno 1491 zur Welt kam. Casa Santa heißt das Geburtshaus heute, der Kern des Klosterkomplexes. Ein Haus wie eine Festung, mit großen Treppenaufgängen und vielen Zimmern.
Ein Raum in der dritten Etage markiert den Wendepunkt im Leben des Ritters Ignatius, der einst im Dienst des Vizekönigs von Navarra stand. Nachdem 1521 bei der Belagerung der Stadt Pamplona seine Beine von Kanonenkugeln getroffen worden waren, verbrachte er die Tage hier mit Lesen. Ritterromane aber fehlten in der Hausbibliothek in Loyola. So las er die Geschichte der Heiligen: Erzählungen und Legenden über Männer, die ihr Leben ganz in den Dienst Gottes gestellt hatten. Damals reifte in dem überzeugten Soldaten der Wunsch nach einem neuen Kampf für mehr Gerechtigkeit. Loyola wurde zur Wiege jesuitischen Denkens.
Das alte Exerzitienhaus gegenüber der Basilika dient heute als Startpunkt für eine Wanderung ins gut 650 Kilometer entfernte Manresa. In 27 Etappen verläuft der Ignatiusweg vom Baskenland im Nord-Westen bis nach Katalonien im Osten Spaniens. Der Pfad führt entlang jener Route, die im Spätwinter 1522 auch der Pilger Ignatius einschlug, als er sich auf einem Maultier Richtung Barcelona aufmachte. Von dort wollte er nach Rom und dann weiter nach Jerusalem reisen.
Im grünen Urola-Tal, dem Ausgangspunkt der Wanderung, sorgen die umliegenden Berge noch im Hochsommer für manch kühles Lüftchen. Zeit also, in der Pfarrkirche von Azpeita das Taufbecken zu bestaunen, in dem wohl auch Ignatius getauft wurde. Oder das Hospital de la Magdalena zu besuchen, in dem der Heilige drei Monate lang die Kranken pflegte. Die Stelle, wo er auf dem Boden schlafend die Nächte verbrachte, zeigt man Besuchern heute besonders gern.
Bereits die zweite Etappe bis nach Zumarrága ist schon richtig schweißtreibend, fast 900 Meter bergauf und über 500 Meter bergab. Hoch über dem Städtchen liegt die Wallfahrtskirche Santa Maria La Antigua: ein romanisch-gotisches Prachtstück aus Holz und Stein. Hier, ebenso wie im nächsten Etappenziel, Arantzazu, soll auch Ignatius Station gemacht haben.
Dann beginnt eine der schönsten Etappen, stramm bergauf. Schafe, Kühe und Pferde kreuzen hin und wieder den Weg des Pilgers. Die wilden Rösser auf den baskischen Almen tragen große Glocken. Oben auf dem Pass liegt eine Berghütte wie aus dem Bilderbuch, in der Deftiges auf den Tisch kommt: würzige Würstchen und Apfelwein, das Nationalgetränk der Basken.
Die nächste Route führt durch grandiose Berglandschaften. Dann betritt der Pilger das spanische Rotwein-Paradies La Rioja. Von der Grenzstation in Laguardia geht es lange Zeit auf Asphalt, entlang von Autobahnen und Eisenbahnstrecken weiter nach Navarette. Hier residierte der Vizekönig von Navarra, in dessen Diensten der Ritter Ignatius zuletzt gestanden hatte. Weil dieser ihm noch Geld schuldete, holte es Ignatius ab und verteilte es an Leute, denen er sich verpflichtet fühlte. Den Rest spendete er zur Restaurierung eines Muttergottes-Bildes.
In Navarette trifft der Ignatiusweg auf den traditionellen Jakobsweg. Über 13 Kilometer sind beide Routen identisch. Während der Ignatiusweg jedoch Richtung Mittelmeer führt, schaufelt der Jakobsweg die Massen zum Atlantik. War man bislang oft stundenlang allein unterwegs, begegnen einem die Pilger jetzt an schönen Tagen im Minutentakt.
Von Logrono mit seiner sehenswerten Altstadt führt der Weg am Fluss Ebro entlang durch kleine und große Städte, die auch Ignatius auf seinem Weg Richtung Mittelmeer querte. Viele Abschnitte
sind ermüdend, Etappen von 30 Kilometern und mehr, oft auf asphaltierten Straßen. Belohnt wird der Pilger mit einem Besuch bei der größten innerstädtischen Storchenkolonie Europas in Alfaro. Gut einhundert Storchenpaare hausen auf der Michaelskirche. Ignatius fand auf diesem Weg immer mehr zu sich selbst. Mit Bußübungen, zu denen auch die Geißelung gehörte, versuchte er, sich seiner Sünden zu schämen und Gott zu gefallen.
Von der Großstadt Zaragoza führen fünf Etappen quer durch eine karge Wüstenlandschaft – mit Stürmen bis zu 100 Stundenkilometern und Temperaturen von weit über 40 Grad im Sommer, kaum Pilgerherbergen oder Proviantstationen. Wasser gilt es frühzeitig zu bunkern.
Schließlich betritt der Pilger Katalonien, wo neue Herbergen und üppige Mahlzeiten auf ihn warten. Die nächste Etappe sollte er schweigend gehen. Das Auge sieht Felder und Bäume, Sträucher, Wiesen und Blumen. Aber auch abgekippten Bauschutt, rostende Zementsilos, gestapelte Wegplatten: stumme Zeugen spanischer Bauwut. Zu hören sind Vögel und der Wind, der leise über Felder und durch Bäume streicht, und die eigenen Schritte. Aber auch: Flugzeuge, Mopeds, Mähdrescher. Es ist der Gegensatz der Eindrücke, die den Pilger auf dem Ignatiusweg zum Nachdenken anregen.
Langsam wird es wieder grüner und gebirgiger. Von weitem grüßt der Montserrat, Kataloniens heiliger Berg, mit dem großen Kloster. In Igualada, dem Start zur letzten Bergauf-Etappe, so heißt es, habe sich Ignatius ein Bußgewand aus grob gewebtem Stoff schneidern lassen.
Vom alten Kloster Montserrat, wie es Ignatius erlebte, kündet heute nur noch ein alter Torbogen und eine dunkle Muttergottes-Figur. Auf der Rückfront der Kirche findet sich eine Statue des Heiligen und nicht weit davon auf dem Boden ein schwarzer Kreis. Dort, im Angesicht der Madonna, legte Ignatius schließlich seine Waffen ab und verschenkte sein Ritterkleid an einen Bettler. „Von hier an“, heißt es in seinem Pilgerbericht, „dachte er, wie es seine Gewohnheit war, nur noch an seine Vorsätze.“ Dazu gehörte auch eine Generalbeichte, die drei Tage dauerte.
Mit zwei Millionen Touristen jährlich ist der Berg meist überlaufen. Erst abends kehrt Ruhe ein, laden die Mönche zur Vesper mit Gebet und Gesang. Auch zu ihrer Morgenandacht sind die Pilger willkommen. Dann kann man still zu Füßen der Madonna verweilen – und davon träumen, wie sich Ignatius hier einst gefühlt haben mag.
Eine mittelalterliche Brücke führt hinein in die Stadt Manresa, dem Ziel des Weges. Hier wollte Ignatius nur kurz Station machen, doch er blieb fast elf Monate. Tage- und wochenlang, sieben Stunden täglich meditierte und betete er in einer Höhle. Dort erlebte er zunächst eine Periode voller Frieden und Freuden. Danach kamen Anfechtungen und Skrupel in ihm auf, spielte er mit Selbstmordgedanken. Schließlich folgte eine Zeit voller Trost und tiefer Glaubenserfahrung.
Von der Höhle aus hatte Ignatius einst freien Blick auf die Basilika Santa Maria de la Seu. Stundenlang saß er vor dem Gotteshaus, um für die Armen zu sammeln. „Sackmann“ nannten ihn die Einheimischen, weil er wie ein Bettler gekleidet war. Schnell war er zum Liebling frommer Frauen gereift, die ihn mit Essen und Unterkunft versorgten. Der einst eitle Ignatius ließ seine Haare und Nägel wachsen – bis viele wegen seines Äußeren auf Distanz zu ihm gingen.
Manchmal baten ihn Leute in der Höhle um Beistand in geistlichen Fragen. Hier vervollständigte er vermutlich auch seine „Geistlichen Übungen“: eine Art Exerzitien, „um über sich selbst zu siegen und sein Leben zu ordnen, ohne sich durch irgendeine ungeordnete Neigung bestimmen zu lassen“. All sein Leben war so mit der Sehnsucht nach Individualität und mit der Ganzheitlichkeit menschlichen Daseins verknüpft. „Nicht gelebt werden, sondern leben!“, war sein Ziel. Es war ein Bekenntnis zu Freiheit, Entschiedenheit und Lebenssinn.
erschienen in: der pilger, Magazin für die Reise durch das Leben, Ausgabe Herbst 2017
Weitere Informationen: www.der-pilger.de